"Mord mit Ansage" bleibt nicht ohne juristisches Nachspiel. Nach Informationen des Medienmagazins DWDL.de hat die Kölner Autorin, Moderatorin und TV-Produzentin Maike Tatzig beim Landgericht München I eine Unterlassungs- und Schadensersatzklage gegen Sat.1 eingereicht. Der Vorwurf: Formatausbeutung. Es geht um die Impro-Comedy "Schillerstraße", die von 2004 bis 2011 bei Sat.1 lief und für die Tatzig als Formaterfinderin, Executive Producerin und Spielleiterin verantwortlich zeichnete. 

Geht es nach dem Sender, ist die im März erstmals ausgestrahlte und inzwischen verlängerte Reihe "Mord mit Ansage" ein völlig neues, eigenständiges Format. Folgt man Tatzig, führt "Mord mit Ansage" ihre "Schillerstraße" mit unwesentlichen Änderungen fort und verstößt gegen Urheber-, Vertrags- und Wettbewerbsrecht. Sie will vor Gericht erstreiten, dass Sat.1 bei Androhung von 250.000 Euro Ordnungsgeld dazu verurteilt wird, Herstellung und Verbreitung von "Mord mit Ansage" zu unterlassen sowie den bereits durch die ersten vier Episoden entstandenen Schaden zu ersetzen.

"Ich bin entsetzt, aber auch ehrlich enttäuscht über das Verhalten von Sat.1", sagt Maike Tatzig auf Nachfrage von DWDL.de. "Ich hätte nicht gedacht, dass der Sender nach einer so langen und erfolgreichen Zusammenarbeit meine kreativen Leistungen einfach klauen würde. Und dann noch auf eine so dreiste Art und Weise." Dem Vernehmen nach habe man im September 2017 das Gespräch mit Verantwortlichen von ProSiebenSat.1 gesucht – nachdem die geplante neue Sendung unter eindeutigem Bezug auf den Klassiker angekündigt worden war, bei DWDL.de etwa unter der Überschrift "'Killerstraße' statt 'Schillerstraße'". Aus Unterföhring sei die Entwarnung gekommen, man habe etwas ganz anderes vor. 

Als Tatzig jedoch im März das von der Konzerntochter RedSeven Entertainment produzierte Resultat auf dem Bildschirm sah, beauftragte sie zunächst eine Hamburger Anwaltskanzlei, ihre Rechtsauffassung klarzumachen und möglichst noch auf eine einvernehmliche Lösung mit Sat.1 hinzuwirken. Allerdings teilten die Anwälte der Sendergruppe im April mit, ihre Prüfung der geltend gemachten Ansprüche habe ergeben, "dass diese nicht bestehen". Improvisationstheater gebe es seit Jahrhunderten, Improvisations-Comedy im Fernsehen seit Jahrzehnten, so die Argumentation. Außerdem seien "Set, Plot, Akteure, Verpackung und Erzählstruktur" des neuen Formats "völlig anders ausgestaltet" als bei der "Schillerstraße". Die Replik der Sat.1-Anwälte gipfelte in der Androhung einer so genannten "negativen Feststellungsklage" – ein juristisches Instrument, mit dem behauptete Ansprüche gerichtlich als unzutreffend festgestellt werden können.

Maike Tatzig, Ralf Höcker© JuniTV/Höcker
Nun hat der bekannte Kölner Medienanwalt Ralf Höcker das Zepter übernommen und für seine Mandantin Maike Tatzig die Klage gegen Sat.1 angestrengt. Von DWDL.de auf die Erfolgsaussichten angesprochen, sagt Höcker: "Die Klage taugt zum Präzedenzfall. 'Mord mit Ansage' ist ein Klon der 'Schillerstraße'. Mir ist kein einziger anderer Fall bekannt, in dem ein Format so dreist kopiert wurde. Wir sind daher zuversichtlich, dass das Gericht endlich einmal eine Formatklage positiv bescheiden wird. Übrigens halten wir das Vorgehen von Sat.1 sogar für strafbar und erstatten daher auch Strafanzeige gegen die Verantwortlichen."

In der Klageschrift, die DWDL.de vorliegt, argumentiert Höcker damit, dass "Mord mit Ansage" die "prägenden Gestaltungselemente" der "Schillerstraße" vollständig übernehme. So etwa das "Vorantreiben einer improvisierten, auf der Ausgangssituation basierenden Spielhandlung der Darsteller durch die Dramaturgie leitende, Komik provozierende Regieanweisungen des – als Teil des Spiels eingeblendeten – Spielleiters. Die Regieanweisungen werden dabei nur den betreffenden Darstellern (über einen 'Knopf im Ohr') und dem Publikum sowie den Zuschauern (durch Texteinblendung) zugänglich gemacht." Auch Bühnenbild und Studioaufbau, Ablauf und Art der Regieanweisungen seien von der "Schillerstraße" übernommen, ebenso wie wesentliches Personal vor und hinter den Kulissen.

"Mir ist kein anderer Fall bekannt, in dem ein Format so dreist kopiert wurde. Wir halten das Vorgehen von Sat.1 sogar für strafbar und erstatten daher auch Strafanzeige."

Medienanwalt Prof. Dr. Ralf Höcker

Entsprechend sieht Höcker einen urheberrechtlichen Unterlassungsanspruch, da laut Bundesgerichtshof auch an Fernsehformaten grundsätzlich urheberrechtlicher Schutz entstehen könne, sofern "die charakteristischen Gestaltungselemente des Formats das Stadium einer reinen Idee verlassen haben und sich (ungeachtet des konkreten Plots) als Gesamtheit zu einer persönlich geistigen Schöpfung manifestiert haben". Dies sei bei Tatzigs "Schillerstraße" der Fall. Die Klage beschränkt sich freilich nicht allein auf das Urheberrecht. Im Sinne des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) stelle die Nachahmung eine "vermeidbare Herkunftstäuschung" sowie eine unangemessene Ausnutzung von Bekanntheit und Wertschätzung des Originals dar.

Und dann gibt es noch einen "Vertrag über die Einräumung von Formatrechten", den Tatzig und Sat.1 Ende 2012 geschlossen haben – und gegen den der Sender laut Klage nun ebenfalls verstoßen habe. In dem Vertrag, der DWDL.de vorliegt, wird festgestellt, dass Tatzig das Format "Schillerstraße" entwickelt habe und über die "ausschließlichen Rechte an dem Format" verfüge, nachdem sie zuvor ihren Lizenzvertrag mit der früheren Produktionsfirma der "Schillerstraße", der Hurricane Fernsehproduktion, gekündigt hatte. Der Vertrag regelt die Einräumung der Formatrechte zum Zwecke des internationalen Formatvertriebs durch die von Sat.1 beauftragte Konzernschwester Red Arrow International. Tatzig überträgt Sat.1 demnach die uneingeschränkten Nutzungsrechte – "mit Ausnahme des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland, für das keine Rechte an dem Format eingeräumt werden".

Medienrechtler Höcker argumentiert, Sat.1 habe gegen die gegenseitige Treuepflicht der Vertragsparteien verstoßen, "sich im Territorium der jeweils anderen Partei einer Auswertung der Idee des Formats zu enthalten". Die Sat.1-Anwälte hatten in ihrem Schreiben vom April bestritten, dass "die etwaigen Rechte an dem Format 'Schillerstraße' für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland" bei Maike Tatzig liegen. International darf die "Schillerstraße" derweil tatsächlich als Export-Hit gelten, das Format wurde in über 20 Länder verkauft. Tatzig unterstützte die lokalen Adaptionen vertragsgemäß als Beraterin und Flying Producer. 

Auf detaillierte Fragen des Medienmagazins DWDL.de zu den verschiedenen Teilen der Klage antwortete Sat.1 mit einem Statement seiner Sendersprecherin Diana Schardt: "Zwischen Sat.1 und Maike Tatzig gibt es einen außergerichtlichen Schriftverkehr, in dem Maike Tatzig bestimmte Ansprüche wegen angeblicher Ähnlichkeit von 'Mord mit Ansage' und 'Schillerstraße' erhebt, die von uns juristisch geprüft und abgelehnt wurden. Von einer Klage von Maike Tatzig gegen Sat.1 wissen wir bisher nichts und äußern uns im Übrigen auch nicht zu laufenden Auseinandersetzungen."

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