Es steht momentan nicht rosig um Sat.1. Der Sender mit dem bunten Bällchen, der im zweiten Jahr von Daniel Rosemann zusätzlich zur TV-Schwester Pro Sieben geführt wird, jongliert mit neuen Shows und großen Namen, ohne dass das bislang größere Emotionen beim Publikum ausgelöst hätte. Genau in dieser sensiblen Phase der Senderfindung steigt jetzt „eine der schönsten Frauen im deutschen Fernsehen“ – O-Ton Ilka Bessin, und Recht hat sie! – rasant die Showtreppe rauf. Der klitzekleine Makel: Melissa Khalaj scheint immer erst dann zum Zug zu kommen, wenn jemand nicht kann oder nicht mehr will.

Luke Mockridge kann (oder darf?) bei seiner eigenen Musikshowproduktion „All Together Now“, nicht antreten? Khalaj kann. Lena Gercke will sich lieber um ihre Modelinie kümmern als um aufgelöste Wannabes bei „The Voice of Germany“? Khalaj übernimmt. Bei der Spielshowfortsetzung von „99“ soll nicht mehr Johanna Klum moderieren? Aus Klum wird Khalaj.

Aber mal ehrlich: Ist diese TV-Schönheit, 1989 im bayerischen Dachau geboren, wirklich nur die zweite Wahl – oder vielleicht die bessere? Und woher kommt sie eigentlich so plötzlich angeschossen?

Vorhang auf für einen „Shooting-Star“!

Das Wort ringt Melissa Khalaj ein Lächeln ab. Sie findet das „einerseits schön zu hören, denn es heißt, man ist sichtbar und die Menschen nehmen wahr, dass da grad was Tolles passiert“. Andererseits: In diesem Beruf steckt die 33-Jährige schon seit zehn Jahren drin. „Da ist nichts von heute auf morgen passiert.“ Lange Jahre „harter Arbeit“ liegen hinter ihr.

Tatsächlich, es muss schon sehr hart sein, nach jeder Ausgabe von „Promi Big Brother“ die richtigen Worte zu finden. Aber auch ein Riesenspaß. Wie „drei Wochen Klassenfahrt“ fühlt es sich für sie an, wenn sie mit Jochen Bendel in der gemeinsamen Late Night Show das Container-Geschehen mit einer derart leichtfüßigen Ernsthaftigkeit nachbereitet, dass es bei Trash-TV-Fans die Kultstufe erreicht hat. Der „Jochen“ und sie, sagt sie, hätten in den nun schon acht Jahren Promi-Plausch „einen guten Tonus gefunden“, um auch mit all den Streitigkeiten und verbalen Aussetzern, die zu einer Reality-Show dazugehören, umzugehen: „Es mag nicht jedem gefallen, wie offen wir unsere Meinung sagen, aber wir stehen dazu.“

Melissa Khalaj © Sat.1 / Willi Weber
Denjenigen, die bislang einen Bogen um „Promi Big Brother – Die Late Night Show“ gemacht haben, mag die Fernsehexistenz von Melissa Khalaj entgangen sein, deshalb ein Flashback ins Jahr 2014, als ein gewisser Joko Winterscheidt sich in flegelhaftester Weise vor ihr auf ein TV-Sofa in Berlin-Friedrichshain hinfläzte.

Grimmes Liebling war damals noch halligallimäßig drauf und kaperte Khalajs kleine Live-Show auf Joiz. Das war dieses neuartige, weil interaktive Social-TV aus der Schweiz, das unter Programmdirektorin Jennifer Mival auch in der deutschen Hauptstadt das Fernsehen revolutionieren wollte. Winterscheidt, schon echt berühmt, war eingeladen und benahm sich höchst merkwürdig (Wodka! Nutella! Klaas im Ohr!). Je länger die Sendung ging, desto mehr beschlich die noch gar nicht berühmte Melissa Khalaj das Gefühl, da stimmt was nicht. Alle hatten dichtgehalten bei diesem Streich, der die Nachwuchsmoderatorin unerwartet in die erste Fernsehreihe katapultierte.

Als „lustige Nummer im Nachhinein und gut“ hat Khalaj ihren ersten Konter mit den enfants terribles Joko & Klaas in Erinnerung behalten, „so was wappnet einen für alle möglichen Interviewsituationen.“ Auftritte bei „Circus Halli Galli“ auf Pro Sieben folgten, mit „Crash Games“ die erste größere Showmoderation. Ihre Zukunft vor der Kamera war damit besiegelt. Dabei hatte sie in ihrer beruflichen Orientierungsphase doch mit dem Dahinter geliebäugelt.

Sie war 18 und mitten in den Abiturprüfungen, als sie sich für die 6. Staffel von „Popstars“ als Kandidatin bewarb. (Eins muss man an dieser Stelle unbedingt festhalten: Singen kann sie!) In die Siegerband „Room2012“ schaffte sie es trotzdem nicht. Viel spannender fand Melissa Khalaj erstaunlicherweise die Arbeit der Redaktion im Hintergrund, die sie während der „Popstars“-Castingwochen ausgiebig beobachten konnte: Vielleicht wäre das ja was für sie?

Generation Praktikum, das war erstmal Melissa Khalajs Schicksal. Nach Praktika bei einer kleinen TV-Produktion und bei Radio Energy in München wurde sie Praktikantin der frisch gegründeten RedSeven. Das erste Projekt: „Austria’s Next Topmodel“ redaktionell begleiten. Die Model-Show wurde – Zufälle gibt’s! – von eben jener Lena Gercke moderiert, die Khalaj fünfzehn Jahre später bei „The Voice“ beerben sollte. „taff“, „Red“ und Co., die Lehrstationen wechselten, aber nichts Festes war in Sicht. Also sattelte Khalaj um und ließ sich zur Fremdsprachenkorrespondentin in Englisch und Spanisch ausbilden. Der Familie zuliebe.

Gerade Eltern, die aus dem Ausland kommen so wie ihre aus Iran, wünschten sich, dass ihre Kinder „etwas Richtiges“ machen. Melissa Khalaj (die hier von ihrer Zerrissenheit zwischen den Kulturen erzählt) fühlte jedenfalls diese Verantwortung in sich: „Man will ja, dass die Eltern stolz sind, wenn sie schon ihr eigenes Leben in der Heimat aufgegeben und hier in Deutschland komplett neu angefangen haben. Da will man nicht versagen.“ Trotzdem, betont sie: „Meine Eltern hatten immer großes Vertrauen in mich.“

Aus der Dolmetscher-Karriere wurde trotz Abschluss dennoch nichts, denn es kam ein Anruf.

Gesucht wurde eine Moderatorin für eine Talkshow, die im Web Heidi Klums „Germany’s Next Topmodel“ begleitet. Für „Etage 7“ war eigentlich jemand anderes angefragt – aber wie es in Khalajs Karriere noch öfter passieren sollte, ereilte sie das Glück der zweiten Wahl. Die andere konnte nicht. Khalaj war im Rennen, für ein Vierteljahr. Dann wieder die Frage: Was nun?

Weg aus München

Berlin calling! Eine Festanstellung als Redakteurin und Moderatorin bei Joiz – wo gab’s das denn sonst? Da war die ausgebildete Fremdsprachenkorrespondentin 2013 dann mal eben weg aus München. Zurück in die bayerische Heimat kehrte sie nicht mehr.

Die folgenden zwei Joiz-Jahre hat Melissa Khalaj in bestimmt nicht allzu verklärender Erinnerung behalten, wenn sie vom „Pioniergeist“ schwärmt und davon, dass „alle Bock hatten“, die Lücke zu füllen, die VIVA und MTV als Probebühne für Talente zurückgelassen hatten: „Wir waren immer live, alles Mögliche konnte passieren.“ Clips fielen aus, Gäste kamen nicht, den Chat im Hintergrund mussten sie im Auge behalten – „noch mehr ins kalte Wasser springen geht eigentlich nicht. Einfach die beste Schule!“

Dass man sie bei Joiz in den ersten Wochen nicht on Air gehen lassen wollte, mag man von heute aus betrachtet kaum glauben. Zu unsicher war sie damals noch, aber ihr Ehrgeiz entfacht. Nach Arbeitsschluss blieb sie noch da, um eine Sendung nach der anderen zu proben. Irgendwann hieß es, gut, jetzt kann sie’s. Spontan drauflosquatschen, mit der Kamera flirten, Leichtigkeit und Spaß verbreiten und, ja, das gehört in diesem Biz dazu, schön aussehen – all das sitzt seither perfekt bei ihr. Das können andere auch. On top kommt bei Melissa Khalaj indes noch etwas anderes.

Wer ihr auf dem Selbstmarketingportal Instagram folgt, erkennt: Die Reize, die sie zweifellos hat, weiß sie vorzuzeigen. Doch den schönen Schein bricht sie immer wieder mit herzerfrischendem Humor, wenn sie beispielsweise ein Bikini-Foto betextet mit der „Information“, sie habe 1988 den Lesewettbewerb in ihrer Schule gewonnen. Oder sie versteckt ihre Ernsthaftigkeit hinter unschuldigen Blumenbildern.

Sei es die Not afghanischer Frauen, Zwangsprostitution oder Rassismus – Melissa Khalaj wird laut, egal ob das Trolle auf der Suche nach sexy pics als „nervige politische Scheiße“ geißeln. „Wenn ich schon im Mainstream-TV stattfinden kann, möchte ich meine Meinung sagen und ein Umdenken anregen.“ Und wer weiß, sagt sie mit Blick auf jene Menschen, die aus Kriegsgebieten flüchten und sich hier ein neues Leben schaffen wollen, „das sind vielleicht irgendwann Moderator*innen, Musiker*innen oder Ärzte und Ärztinnen, die wir brauchen. Die Vielfalt macht doch unser Land aus und dass wir uns gegenseitig helfen.“

Mit Akzeptanz abseits der Medienbubble "oft nicht weit her"

Als kleines Mädchen in Dachau konnte sie sich eine persische Moderatorin im deutschen Fernsehen nicht vorstellen. In der Berlin- und Medienbubble stieß sie auf die Toleranz und Akzeptanz, mit der es drumherum nach wie vor „oft nicht weit her ist“. Der Kids-Ableger von „The Voice“, an der Seite von Thore Schölermann, wurde 2019 ihr Einstieg in die Primetime. Länger als sie hat keine ihrer Vorgängerinnen die Show moderiert. Was lag da für Sat.1 näher, als sie für die Erwachsenenvariante nachzubesetzen? Nichts. Recht so.

Melissa Khalaj © Sat.1 / Willi Weber
Die Blind Auditions der zwölften „The Voice“-Staffel wurden Ende Mai produziert. Ab August gehen die Live-Shows los. Natürlich, ist sich Neuzugang Melissa Khalaj sicher, werden die Leute Vergleiche ziehen. Aber sie hat sich ein gesundes Selbstbewusstsein zugelegt: „Es tangiert mich nicht. Jede Moderatorin steht für sich. Jede Moderatorin hat andere Stärken.“

Ihre ist zweifellos: Sie kann eine Show, die eigentlich nicht für sie bestimmt war, zur ihren machen. Siehe „All Together Now“, die bunteste Musikshow, die das Fernsehen derzeit zu bieten hat. Kaum eine Woche lag zwischen Angebot und Produktionsstart. Pech für Luke Mockridge, ein Glück für die Show. Wer sieht, wie Melissa Khalaj selbst zur Ukulele greift oder mit dem Elvis-Double in der hundertköpfigen Jury spontan „In the ghetto“ anstimmt, wünscht „All Together Now“ eine zweite Staffel (trotz Quotenluft nach oben), und zwar mit ihr.

Dass sie „nur“ Ersatz für den in MeToo-verstrickten Mockridge ist, stört sie gar nicht: „Ich sehe es eher als Breakthrough-Moment. Die alte Schule war: Da setzen wir einen Mann drauf. Vielleicht setzt sich jetzt durch, dass es mit einer Frau genauso gut funktionieren kann.“ Weil ihr aber die Erfahrung zeigt, „vom Himmel kommt halt nichts geflogen“, wird Melissa Khalaj selbst aktiv.

Am 25. Juli startet bei sixx mit „BAFF – clever kontern“ ihre erste TV-Show, die sie mit entwickelt hat und für die sie, Bravo!, die erste Moderatorenwahl war. Eine komplett neue Sendung auf die Beine zu stellen so wie „BAFF“, das sei schon „eine andere Hausnummer“, als ein bestehendes Format zu übernehmen: „Da ist für mich als Moderatorin und Ideengeberin noch mehr Spielfläche, um Druck entstehen zu lassen.“

Aber, und da ist man mit den guten Gefühlen ganz bei Melissa Khalaj, wenn sie sagt: „Ich bin sehr happy, dass man mich mittlerweile aber auch direkt fragt und nicht erst dann, wenn jemand anderes nicht kann oder nicht mehr will.“