Es sind gerade deutsche-Serien-Wochen: Die zweite Staffel von "4 Blocks" ist bei TNT Serie gestartet, am Freitag wurde "Deutschland 86" (die zweite Staffel von "Deutschland 83") auf Amazon Prime veröffentlicht, am Samstagabend läuft "Die Protokollantin" mit Iris Berben im ZDF an. Das ist längst nicht alles, was uns bis Ende des Jahres erwartet - im November und Dezember stehen zum Beispiel auch die Amazon-Produktion "Beat", die ZDFneo-Serie "Parfum" und die Sky-Produktion "Das Boot" an. Natürlich werde ich mich in den folgenden Wochen mit vielen dieser Serien hier in der Kolumne beschäftigen. Mich hat ein Blick auf die Auflistung deutscher Serien in meiner Starttermine-Datenbank Anfang der Woche allerdings auf einen anderen Gedanken gebracht: Dass ich bisher keine einzige österreichische Serie geschaut habe. Was eine ziemliche Lücke ist, wie ich finde - schließlich sind die Serien aus Österreich auch deutschsprachig und damit leichter zugänglich für mich, als es zum Beispiel tschechische oder polnische wären (um mal andere östliche Nachbarländer zu nennen). 

Ein Blick auf meine To-Watch-Liste verriet mir dann, dass da tatsächlich zwei österreichische Serien sind, die ich schon längst geschaut haben wollte: "Braunschlag" und "Altes Geld", geschrieben und gedreht von David Schalko. Sie sind vor drei Jahren auf die Liste gekommen, weil ein Bekannter mir von Schalkos Werk, insbesondere von diesen beiden Serien vorgeschwärmt hat. Und in der Priorität nach oben gewandert sind sie, als bekannt wurde, dass David Schalko den Filmklassiker "M" für den ORF und RTL Crime als Serie adaptiert, die in einigen Monaten zu sehen sein soll. Aber selbst hohe Prioritäten kommen auf meiner Liste derzeit nicht gegen die vielen, vielen Neustarts an - weswegen ich bis Anfang der Woche noch immer keine der Serien geschaut hatte. 

Zwei gute Gründe und ein Anlass später sitze ich vor dem Fernseher, schalte "Braunschlag" ein, und schon nach kurzer Zeit frage ich mich, warum ich diese herrliche ORF-Serie nicht längst geschaut habe. Denn sie ist eine Serie ganz nach meinem Geschmack: spielt in der Provinz, wimmelt nur so vor schrägen Figuren und ist clever geschrieben. (Wie clever sie tatsächlich geschrieben ist, habe ich erst beim Finale verstanden, aber dazu später.)

Gerri Tschach (Robert Palfrader), Bürgermeister der Marktgemeinde Braunschlag in Niederösterreich, hat die Stadt durch halbseidene Machenschaften in die Pleite getrieben und braucht nun dringend eine Art Konjunkturprogramm. Er sucht Hilfe bei Gott und der katholischen Kirche: Er inszeniert eine Erscheinung der Jungfrau Maria. Sein Plan scheint aufzugehen: Während der Vatikan noch prüft, ob es eine echte Heiligenerscheinung war, spricht sich die frohe Kunde schnell rum. In kürzester Zeit stürmen Pilger den Ort, und jeder der Einwohner und Einwohnerinnen versucht auf eigene Art, daran zu verdienen. Doch beeinflusst durch andere Ereignisse entwickelt der Plan ein Eigenleben, Tschach entgleitet die Kontrolle über seine Kleinstadt und sein Leben. Es ist ein ganzer Reigen an Figuren, die nach und nach eingeführt werden und die alle zwei Dinge gemeinsam haben: Sie sind schräg, und sie sind mit Ausnahme des katholischen Priesters auf unterschiedliche Art unsympathisch. Mal einfach nur griesgrämig, mal egozentrisch, mal hinterhältig, mal heuchlerisch. Und doch kann ich ihre Wesenszüge nach kurzer Zeit verstehen, nachvollziehen, warum sie so geworden sind und Sympathie für viele empfinden. 

David Schalko ist dabei teilweise gnadenlos seinen Figuren gegenüber, lässt sie voller Häme austeilen und auch einstecken, wodurch die Serie eine Bissigkeit entwickelt, die ich mag. (Ja, auch die Deutschen bekommen ihr Fett weg.) Indem er Themen wie Bauernschläue, das Prinzip von "eine Hand wäscht die andere" und blinden Glauben an die Kirche durch den Kakao zieht, wird aus "Braunschlag" eine interessante Betrachtung menschlicher Gier. Und ich unterstelle mal: Wäre ich Österreicherin, würde ich in der Serie noch viele Anspielungen entdecken, die mir jetzt entgangen sind.

Durch die vielen Figuren sind es viele Handlungsstränge, die sich in kurzer Zeit auftun, in absurde Richtungen entwickeln, miteinander verwoben werden oder sich wieder voneinander entfernen. So viele und teilweise so absurde, dass ich immer mal wieder Zweifel hatte, ob Schalko es in diesen acht Folgen schafft, alle zu einem für das Publikum befriedigenden Ende zu bringen. Aber ja, es gelingt ihm tatsächlich, und selbst das für sich genommen überdrehte Finale ergibt einen Sinn, weil vorher alles sehr clever gesät wurde.

Die Dialoge sind eine Klasse für sich, mal unwartet schlagfertig, mal unerwartet langsam, aber immer zu den Figuren passend. Wunderbar. Eine Annahme meinerseits trifft allerdings nicht zu: Ich hatte oben geschrieben, dass die Serie wegen der Sprache leichter zugänglich wäre als andere ausländische Serien. Das ist Quatsch. Denn das Niederösterreichisch, das hier gesprochen wird, ist für mich anfangs völlig unverständlich. Mit Untertitel dagegen ist es ein Genuss, denn hier wird dieses Mal nicht übersetzt, sondern das Gesagte meistens einfach nur ausgeschrieben, was wiederum verständlicher ist. Und: Ich lerne dadurch einige neue Schimpfwörter ("Schastrommel", "Deschek") und Flüche kennen, außerdem sprachliche Eigenarten, die mir vorher unbekannt waren. Von "Braunschlag" begeistert nehme ich mir vor: Wenn die deutsche-Serien-Wochen vorbei sind, werde ich "Altes Geld" gucken. 

Eine Anmerkung zum Schluss, die auch ein kleiner Ausblick ist auf einige der deutschen Serien, die uns in den nächsten Wochen erwarten: "Braunschlag" ist frei von Gewalt gegen Frauen. Was ich im Laufe der Folgen erfreut festgestellt habe, denn ich kann mich neuerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass derzeit weder Schwarzer-Humor-Serien noch Krimiserien ohne psychische oder physische Gewalt gegen Frauen auskommen können. Aber das ist ein anderes Thema, dem ich mich zu gegebener Zeit hier in dieser Kolumne ausführlicher widmen werde.

"Braunschlag" ist bei Amazon, iTunes, Maxdome oder Netflix verfügbar. Die Serie läuft derzeit auch donnerstags und samstags im BR. Gibt's auch auf DVD. Zum (ganz gut verständlichen) Trailer geht's hier