Für eine Überraschung waren die Italiener schon immer gut. Das weiß man in Unterföhring aus eigener Erfahrung. Als eine fünfköpfige ProSiebenSat.1-Delegation Ende Mai 2012 die Mediaset-Studios vor den Toren Roms besucht, kommt sie aus dem Staunen nicht heraus: Bei der Aufzeichnung der Gameshow "Il braccio e la mente" stiehlt ein Affe dem Moderator die Show – genauer gesagt ein Akrobat im Ganzkörper-Orang-Utan-Kostüm, der Salti schlagend über die Bühne springt und die Kärtchen mit den Quizfragen anreicht. Die Gäste aus Deutschland wissen nicht, was sie davon halten sollen, denn eigentlich ist das ihre Show, zumindest ihr Konzept. Ein Affe kam darin nicht vor, ebenso wenig wie die bonbonbunte Balletteinlage nach der Werbepause.

Die Show, die damals für das Vorabendprogramm des Mediaset-Senders Canale 5 produziert wurde, basierte auf dem Format "Body & Brain" der ProSiebenSat.1-Tochter Redseven Entertainment. Es war das erste Mal, dass ein großer Sender im Ausland ein deutsches Papierkonzept – hierzulande noch nicht umgesetzt – gekauft und daraus eine tägliche Sendung gemacht hatte. Mediaset war auf die Mischung aus Quiz und physischen Aufgaben bei einem von ProSiebenSat.1 ausgerichteten europäischen Formatpitch aufmerksam geworden.

Dass man die Italiener damals als eine Art Preferred Partner betrachtete, hatte auch damit zu tun, dass sie gut zahlten. Die von Redseven-Geschäftsführer Jobst Benthues angeführte Delegation staunte 2012 in Rom nicht nur über die inhaltlichen Abweichungen, sondern auch über den hohen Produktionsaufwand mit zehn Kameras inklusive Kran, Steadicam und ferngesteuerter Robocam. Während Mediaset rund 100.000 Euro pro Stunde ausgab, hätte das gleiche Vorabendformat in Deutschland mit der Hälfte des Budgets auskommen müssen. Obwohl Italien der kleinere Markt war, gaben der viel höhere Werbemarktanteil der Gattung TV und des Marktführers Canale 5 im Speziellen den Ausschlag.

Acht Jahre später will Mediaset bekanntlich viel mehr übernehmen als nur ein einzelnes Format. Über mehrere Zukäufe hat sich der italienische Konzern bislang 20,1 Prozent der ProSiebenSat.1-Anteile gesichert und beim Bundeskartellamt Anfang April den "Erwerb eines wettbewerblich erheblichen Einflusses" angemeldet. Das Erreichen einer Sperrminorität scheint in greifbare Nähe gerückt. Zumindest für den Ende März ausgeschiedenen Vorstandsvorsitzenden Max Conze war Mediaset daher kein Preferred Partner mehr: Einem möglichen Zusammenschluss beider Unternehmen erteilte er mehrfach klare Absagen. Zwischen Mailand und München gilt es als offenes Geheimnis, dass der erratisch agierende Conze nicht zuletzt auf Druck des neuen Großaktionärs gehen musste.

Pier Silvio Berlusconi© Mediaset
Das finanzielle Kräfteverhältnis gibt Mediaset-CEO Pier Silvio Berlusconi (Foto), dem Sohn des früheren italienischen Ministerpräsidenten, die Oberhand: Obwohl ProSiebenSat.1 im vorigen Jahr mit 4,1 Milliarden Euro mehr umgesetzt hat als Mediaset mit 2,9 Milliarden, kommt die deutsche TV-Gruppe derzeit nur auf einen Börsenwert von weniger als 1,9 Milliarden Euro – bei rund 2,3 Milliarden Euro aufseiten von Mediaset. Dennoch: Wie das Medienmagazin DWDL.de aus Kreisen des Mailänder Unternehmens erfuhr, ist zumindest in der nahen Zukunft nicht mit einem aggressiveren Kurs zu rechnen. Man wolle ProSiebenSat.1 auch ohne eigene Vertreter im Aufsichtsrat oder Vorstand unterstützen, heißt es, und bei der für den 10. Juni angesetzten Hauptversammlung vor allem zuhören und evaluieren. Offiziell äußert sich Mediaset gegenwärtig nicht zum Umgang mit ProSiebenSat.1.

Der langfristige Plan der Italiener liegt freilich schon seit Juni 2019 auf dem Tisch. Er hört auf den Namen MediaForEurope (MFE). In diese neue Holding mit Sitz in den Niederlanden will Mediaset seine geschäftlichen Aktivitäten in Italien und Spanien sowie die Beteiligung an ProSiebenSat.1 einbringen. Bis 2023 sollen dadurch Synergieeffekte von 100 bis 110 Millionen Euro entstehen. Nach Werbeerlösen wäre MFE der zweitgrößte Player in Europa hinter der RTL Group, nach Marktkapitalisierung die Nummer drei hinter RTL und ITV. Mittelfristig geht man davon aus, dass sich weitere Broadcaster aus anderen europäischen Ländern dem Projekt anschließen werden. Ginge es nach Mediaset, würde sich auch ProSiebenSat.1 bei MFE engagieren. Das Hauptargument: Eine solche paneuropäische Bündelung von TV- und Digital-Reichweiten, von Technologie und Daten sowie ein intensiverer Austausch von Programmen würden neue Chancen im Wettbewerb mit Global Playern wie Netflix, Amazon oder Disney eröffnen. Statt konsolidiert zu werden, würden die MFE-Partner zum Treiber der Konsolidierung.

Neben dem bisher verbalen Widerstand aus Unterföhring kommt aktiver Widerstand gegen die MFE-Pläne aus Paris: Der französische Medienkonzern Vivendi, der knapp 30 Prozent der Aktien und knapp 10 Prozent der Stimmrechte an Mediaset hält, geht juristisch auf verschiedenen Ebenen gegen die geplante Firmenverschmelzung von Mediaset Italia und Mediaset España sowie den Umzug in die Niederlande vor, weil er eine unrechtmäßige Verwässerung seiner Anteile befürchtet. Obwohl Mediaset mehrheitlich, zu rund 45 Prozent, der Fininvest-Holding der Familie Berlusconi gehört, kann diese nicht mehr ungestört durchregieren, und die Gerichtsverfahren haben bereits zu Verzögerungen in Pier Silvio Berlusconis ehrgeizigem MFE-Zeitplan geführt.

Doch auch bei ProSiebenSat.1 muss man umlernen: Vorstand und Aufsichtsrat waren seit dem Ausstieg der Finanzinvestoren KKR und Permira im Jahr 2014 daran gewöhnt, einen Konzern nahezu komplett in Streubesitz zu führen. Seit einigen Monaten gibt es nun wieder zwei Großaktionäre, die Ansagen machen. Neben Mediaset hat auch das Konsortium Czech Media Invest (CMI) um den tschechischen Milliardär Daniel Kretínsky die Gelegenheit des niedrigen Aktienkurses genutzt, um bislang 10,01 Prozent der ProSiebenSat.1-Anteile zu kaufen. Strategie der CMI ist es nach eigenen Angaben, Minderheitsbeteiligungen an europäischen Medienunternehmen zu erwerben, die "attraktives Investmentpotenzial" versprechen. Dazu zählen bisher unter anderem französische Zeitungen und Zeitschriften wie "Le Monde" oder "Elle".

Manche Beobachter hatten zuletzt spekuliert, der neue Vorstandssprecher von ProSiebenSat.1, Rainer Beaujean, werde Mediaset-CEO Berlusconi wohl einen Schritt entgegenkommen, um dessen Vertrauen zu gewinnen. Auch die frisch in den Aufsichtsrat berufene italienische Unternehmensberaterin Antonella Mei-Pochtler könne künftig zwischen Unterföhring und Mailand vermitteln. Offiziell gibt sich die Sendergruppe allerdings noch deutlich zurückhaltender: "Wir haben mit Mediaset und CMI zwei große Aktionäre. Beide haben mit ihrer jeweiligen Anteilsaufstockung unterstrichen, dass dies für sie ein attraktives Investment im größten Medienmarkt Europas ist", teilt ProSiebenSat.1 auf DWDL.de-Anfrage mit. "Mit Mediaset arbeiten wir seit langem innerhalb der European Media Alliance zusammen, da europäische Kooperationen und Skalierung gerade bei technologisch geprägten Initiativen wie Streaming und Addressable TV sinnhaft sein könnten." Bleibt abzuwarten, ob die nächste Hauptversammlung tatsächlich ohne italienische Überraschung über die Bühne geht.

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