Monat für Monat dematerialisieren sich unzählige Sendungen, Protagonisten und sogar lieb gewonnene Traditionen aus dem deutschen Fernsehen. Die wenigsten von ihnen tauchen jemals wieder auf. Sind sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen? Welchen Beteiligten kann man Glauben schenken? Was ist tatsächlich vorgefallen?

Und damit herzlich willkommen zum großen True-Crime-Jahresrückblick, der nahtlos an die Erfolge anzuknüpfen versucht, die andere Medien mit einem zunehmend beliebter werdenden Genre erzielen: der Nacherzählung realer Kriminalfälle, ganz nah dran an der Wirklichkeit und nur ein klitzekleines bisschen fiktional ausgeschmückt. Unzählige Podcasts, "Stern Crime" und "Zeit Verbrechen" haben's vorgemacht, ZDFinfo zeigt "Fatale Zusammentreffen", "Dunkle Seelen" oder "Kriminelle Karrieren" in Dauerschleife. Und während das Erste gerade einen Mördererfolg mit "Das Geheimnis vom Totenwald" verbuchte, lässt TVNow Jan-Josef Liefers bald "pietätvoll und authentisch" bei der Obduktion echter Leichen helfen.

Obduktion - Echte Fälle mit Tsokos und Liefers © TVNOW / friese.tv/Andreas Friese Jan Josef Liefers (l.) und Prof. Dr. Michael Tsokos ergründen für TVNow ab 4. Januar "Echte Fälle".

Folgen Sie mir also auf eine toxikologische Spurensuche durch das TV-Jahr 2020, das manches Geheimnis zwar bis in alle Ewigkeit für sich behalten wird, aber auch die ein oder andere Wahrheit ans Licht kommen lässt!

Die Verschollenen

"Das ist nicht mehr mein Gesicht!", bilanzierte Jenke von Wilmsdorff, als er sich für sein erstes ProSieben-Experiment das Alter aus der Schädelhülle operieren ließ – um anschließend zwar nicht, wie gewünscht, 20 Jahre jünger auszusehen, aber fachgerecht nachgemessen immerhin: elf. Haut straffer, Falten weg – Gesicht aber auch. Hat von Wilmsdorff sich tatsächlich freiwillig auf diese Veränderung eingelassen? Oder wurde er unter von seinem neuen Haussender unter Quotendruck gesetzt? Die Auswertung der abendfüllenden Beweisführung läuft aktuell noch.

Jenke. Das Schönheits-Experiment © ProSieben/Willi Weber Haut straffer, Falten weg – Gesicht aber auch: Jenke von Wilmsdorff bei ProSieben.

Ein besonders dramatisches Fehlen ist derweil der Leitung des Ersten Deutschen Fernsehens aufgefallen: In der hiesigen Showbranche gibt es keine Frauen! Volker Herres hat jedenfalls noch keine gesehen – und deshalb in der "Bild am Sonntag" einen vielbeachteten Hilferuf abgesetzt, auf den sich meines Wissens anschließend aber niemand meldete. Oder fällt ihnen eine Frau ein, die mit Empathie und Zugewandtheit männliche Kollegen von ihrer Existenz überzeugen könnte (und die nicht Barbara Schöneberger ist)? Eben.

Zur Strafe nimmt Herres im nächsten Jahr eine (Frau, nicht Barbara Schöneberger) den Job weg und kann ihre Geschlechtsgenossinnen dann ja neu zur Fahndung ausschreiben.

Die Terminierten

Kaum hatten die Sender im Frühjahr im Webcamumdrehen das Genre Quarantäne-TV erfunden, um uns durch den ersten Lockdown zu lotsen, wurden Jauch, Gottschalk, Pocher und Mockridge allein zuhaus aufgrund mangelnden Zuspruchs (und Konzepts) auch schon wieder kaltgestellt. Nur 3sat beließ seinen Profiler Pufpaff auf Sendung, damit der weiter zur Aufklärung des Geschehens beitragen konnte.

Dass die "Lindenstraße" mit ihrem Aus im März auch gleich die Tradition der Weekly im deutschen Fernsehen mit ins Grab riss, ist insbesondere deshalb bitter, weil es sich um keinen natürlichen Tod handelte – sondern einen, der von den Verantwortlichen in der ARD-Programmdirektion zweifellos aktiv herbeigeführt wurde! Schlimmer noch: Die Münchner Serien-Killer haben bereits ihr nächstes Opfer angekündigt! Kommendes Jahr muss "Um Himmels Willen" dran glauben, falls sich nicht noch göttlicher Beistand findet.

So manches Verschwinden folgte gar auf ein angekündigtes Comeback, wie bei der Jasna-Fritzi-Bauer-Serie "Rampensau", der Vox trotz übersichtlicher Zuschauerzahlen noch eine zweite Staffel spendieren wollte – bis die durch Corona erschwerten Drehbedingungen die Gelegenheit für einen Rückzieher boten. (Aber, hey, Vox-Chef Sascha Schwingel kann ja sonst auf einen ganzen Reigen an fiktionalen Erfolgsform… – ach, nee.)

Sehr dunkler Wald © Unsplash / Rosie Fraser Sehr dunkler Wald

Anders als es ihrem Naturell entsprochen hätte, durften "Goldene Kamera" und "Bambi" in diesem Jahr nicht einmal ihr eigenes Ableben zelebrieren. Schon im Februar bestätigte die ARD, das goldene Reh künftig allein im dunklen Wald stehen zu lassen. Derweil musste Thomas Gottschalk die zunächst vom Frühjahr in der Herbst verschobene und dann komplett ausgefallene Programmie-Gala gleich zweimal nicht moderieren. Damit kann die Akte großer Preisverleihungen im deutschen Fernsehen wohl endgültig als geschlossen betrachtet werden.

Den größten Skandal allerdings hat der MDR zu verantworten, dem mit dem Fernsehballett-Aus gleich ein ganzes Ensemble abhanden gekommen ist. Und wer tanzt sich 2021 jetzt bei der "Großen Muttertagsshow" in unsere Herzen?

+++ Wir unterbrechen diese Kolumne für eine Durchsage der Polizeidirektion Hürth: In der Nacht zum 30. Mai 2020 ist der Realityformatklassiker "Big Brother" aus dem deutschen Fernsehen verschwunden. Er wurde zuletzt gegen 0.20 Uhr im zwielichtigen Sat.1-Milieu gesehen. Sein großer Bruder bittet die Öffentlichkeit um Mithilfe bei der Aufklärung. Sachdienliche Hinweise direkt an die zuständige Polizeidienststelle. +++

Der Wiederkehrer

Kaum hatte sich im Herbst herumgesprochen, dass die deutsch-belgisch-französische Politsatire "Parlament" ein ziemlicher Spaß ist, ward sie kurz nach ihrer Erstausstrahlung auch schon wieder aus der ARD Mediathek entfernt. Mord aus Eifersucht? Oder bloß typische Behördenschlamperei? Hören wir an dieser Stelle einige Zeugen zur Aufklärung das Sachverhalts, zuerst den ARD-Abspielkanal – Pardon: den WDR-geführten Innovationssender One, in dessen linearer Obhut sich die Serie zum Zeitpunkt der Tat befand:

"Zunächst einmal: 'Parlament' hat unsere Erwartungen in punkto Nutzung und Medienecho weit übertroffen. Da ONE an dieser europäischen Koproduktion nur mit einem verhältnismäßig geringen Finanzierungsanteil beteiligt war, konnte eine längere Mediathekenverweildauer nach der Erstausstrahlung der Serie leider nicht realisiert werden. Wir freuen uns aber, dass nun trotzdem alle zehn Folgen von 'Parlament' seit dem 10. Dezember 2020 bis Anfang April 2021 noch einmal – online first – in der ARD Mediathek zur Verfügung stehen werden. Bei ONE wird 'Parlament' [seit] 17. Dezember donnerstags ab 22.25 Uhr wiederholt."

Parlament © WDR/Jo Voets Vielleicht beeilien Sie sich dieses Mal beim Abruf von "Parlament" ein bisschen – bloß zur Sicherheit.

Diese Wiederkehr ist höchst erfreulich. Gleichzeitig schließt sich daran die Frage an, ob die zügige Freigabe zur Streaming-Kompostierung bei europäischen Koproduktionen auch künftig die Norm sein wird. Ja, Herr Florian Hager bitte, Channel Manager der ARD Mediathek:

"Das erklärte Ziel für alle Produktionen ist eine Mindestverweildauer von 30 Tagen und vor allem, dass bei Staffeln immer alle Folgen und bei mehreren Staffeln auch das Boxset eingestellt werden kann. In einer idealen Welt hätten wir gerne für alle Formate unbegrenzte Rechte. Selbst wenn das zu finanzieren wäre, würde es eine deutliche Einschränkung an Neuproduktionen bedeuten – und den Produzenten/innen die Möglichkeit der Weiterverwertung nehmen. Und mit 30 Tagen können wir gut leben, denn auch die Zahlen zeigen, dass der mit Abstand größte Teil der Nutzung in diesem Zeitraum stattfindet. Ein Beispiel: Die meisten 'Tatort'-Filme stehen den Userinnen und Usern sechs Monate in der ARD-Mediathek zur Verfügung; rund 90 % der Abrufe werden in den ersten drei Wochen verzeichnet. Für uns ist daher 'neu' auf der Plattform wichtiger als 'möglichst lange'. Bei Co- und Auftragsproduktionen sind schon heute mehr als 30 Tage Verweildauer die Regel. Serien und Filmreihen können bis zu sechs Monate abgerufen werden, Fernsehfilme bis zu drei Monate. Und Dokumentationen stehen meist zwölf Monate lang zur Verfügung."

Einigen wir uns auf eine Wiedervorlage im kommenden Jahr.

Die Verschleppten

In manchen Fällen sprechen die Indizien dafür, dass vermisste Sendungen oder Protagonisten Opfer einer Verschleppung geworden sind. Aus offiziellen Quellen verlautet, dass etwa die Jubiläumsausgabe von "Wetten dass..?" und die ZDF-Abschiedsshow von Carmen Nebel haben 2021 ein Lebenszeichen von sich geben wollen.

Anders als Michael Wendler, der während seines mühevoll von Oliver Pocher und RTL angeschobenen TV-Comebacks gleichzeitig aus "Deutschland sucht den Superstar", der Werbung eines großen deutschen Discounters und der Realität in eine Telegram-Gruppe verschwand, um nie mehr gesehen zu werden.

Während es sich bei der Tele-5-Annexion um einen klaren Fall von Kidnapping durch den öffentlich der Tat überführten Konzern Discovery handelt (noch dazu am helllichten Tage), hat Sachsen-Anhalt das Kunststück fertiggebracht, den erst selbst mit unterzeichneten neuen Staatsvertrag mitsamt der geplanten Rundfunkbetragserhöhung für ARD und ZDF im letzten Moment in den Keller zu sperren, zu dem sich die öffentlich-rechtlichen Sender nun den Zugang in Karlsruhe einzuklagen versuchen. Die Ermittlungen dauern an.

Ach ja, kleiner Aufruf noch: Ein großer deutscher Privatsender sucht nach der Ausstrahlung der diesjährigen Staffel von "Das Sommerhaus der Stars" weiterhin alle guten Geister, von denen er verlassen wurde. Falls Sie die gesehen haben: Bitte melde dich! Andernfalls: Kommen Sie gut ins neue Jahr – idealerweise ohne zwischendurch von der Spurensicherung besucht zu werden.

Und damit: zurück nach Köln.

[ Diese Kolumne entstand frei nach wahren Begebenheiten. ]

Die erste Staffel von "Parlament" ist derzeit wieder in der ARD Mediathek abrufbar.