365 Tage hat er sich nach der Ankündigung im Vorjahr damit Zeit gelassen, die TV-Heimat zu wechseln; aber die war anlässlich seines Erscheinens derart dankbar, dass sich der Sender für Ralf Schmitz prompt umbenannt hat. Die Transformation von Sat.1 zu "Schmitz.1" mag zwar bloß ein (vorübergehender) Marketing-Gag gewesen sein – aber einer, der angesichts von Schmitz' derzeitiger Präsenz im Programm gar nicht so weit hergeholt scheint.

Im September lud der Impro-Comedian erstmals zu seinem neuen Pärchen-Wettbewerb "Paar Wars", in zwei Wochen geht die Datingshow "Voll verschossen" los und gerade läuft am späten Freitagabend die "Schillerstraße"-Reanimationsübung "Halbpension mit Schmitz". In deren ohnehin völlig überdreht agierendem Ensemble dotzt Schmitz wie ein menschlicher Flummi im Holzfällerhemd ("Hömmahömmahömma!") bis zur Platzwunde an der Stirn durch die Kulisse und demonstriert seinem neuen Arbeitgeber, wie man alleine unter Zuhilfenahme eines Rollators und einer Flasche Ouzo 45 Minuten Sendezeit gefüllt kriegt, wenn Pierre M. Krause als unterforderter Spielleiter dazwischen regelmäßig Kicherschnittbilder liefert ("Hehehe", "Hahaha").

Halbpension mit Schmitz © SAT.1 / Willi Weber Karton, Karton, Schuh am Ohr: Was wird Spielleiter Pierre M. Krause da nächste Woche bloß dem Ensemble von "Halbpension mit Schmitz" Kurioses ins Ohr flüstern, gnihihihi?

Nur eines ist aller Energiegeladenheit zum Trotz noch unsicher: ob es Schmitz mit seiner Hyperaktivität auch gelingt, den Flop-Fluch von Sat.1 zu brechen. Und nach dem Senderwechsel an der gewählten Wirkungsstätte tatsächlich dauerhaft erfolgreich zu sein.

Die freitagabendliche Twilight Zone

Während sich "Paar Wars" im Schnitt mit gut 10 Prozent Marktanteil aus der ersten Staffel verabschiedete, ist "Halbpension mit Schmitz" derzeit noch eine wackelige Angelegenheit. Nach verhaltenem Start und kurzem Aufwärtstrend sah es am vergangenen Freitag eher mau aus. Dabei wäre es tatsächlich eine mittlere Sensation, wenn der 46-Jährigen den Trend noch zu Gunsten des neuen Arbeitgebers zu drehen wüsste. Denn der stand bislang nicht gerade im Ruf, seinen prominenten Neuzugängen sonderlich viel Glück zu bringen.

Ganz im Gegenteil: Während des vergangenen Jahrzehnts war die Ankündigung prominenter Comediennes und Moderatoren, zu Sat.1 zu wechseln, mit einem stark erhöhten Frühpensionierungsrisiko behaftet.

Zwölf Jahre ist es her, dass man in Unterföhring stolz bekannt gab, Oliver Pocher vom Ersten abgeworben zu haben, um ihn eine neuen Personality-Show in Sat.1 moderieren zu lassen und (wie damals im Highlights-Heftchen für die Presse stand) das "Genre Late Night in eine neue Dimension zu führen". Dass es sich dabei um eine Art freitagabendliche Twilight Zone handeln würde, konnte da natürlich noch keiner ahnen. Und der heutige SevenOne-Entertainment-Chef Wolfgang Link kann von Glück sagen, dass sich niemand mehr an seine einstige Prognose als Sat.1-Unterhaltungschef erinnert: "Es gibt wohl derzeit kein Entertainment-Format, das Oliver Pocher nicht erfolgreich moderieren könnte." (Upsi.)

Gegen Beton gelaufen

Zwei Jahre später war Pocher wieder weg, und kurz darauf meldete auch der zur gleichen Zeit verpflichtet Johannes B. Kerner seinen Rückzug an, weil die x-te Sat.1-Informationsoffensive mit "Kerner" ("Das aktuelle Magazin um die Menschen und Themen der Woche") gescheitert war. Harald Schmidt hielt nach dem Exodus aus dem Ersten zwei Jahre durch, bevor er mit seiner neu aufgelegten Late Night von Sat.1 zu Sky ging. Ilka Bessin verabschiedete sich 2013 mit ihrem Sat.1-Format "Schwarz Rot Pink" nicht nur von bisherigen RTL-Erfolgen, sondern kurze Zeit später gleich ganz von ihrer Kunstfigur. Und nachdem Bülent Ceylan 2018 erklärt hatte, in Sat.1 die "Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Humor" finden zu wollen, geriet die neue Liebe nach dem gescheiterten "Game of Games" zügig aus dem Gleichgewicht.

Inzwischen schreiben wir das Jahr 2021, Pocher steckt in einer ewigen On/Off-Beziehung mit RTL, Johannes B. Kerner moderiert regelmäßig für die Deutsche Telekom, Bessin ist wieder bei RTL im Einsatz ("RTL Topnews", "Echt jetzt?") und Ceylan steht bald für ein ZDF-Format vor der Kamera, das sehr nach dem klingt, was er schon bei Sat.1 gerne umgesetzt hätte.

So groß die Versprechungen, Zusagen und Hoffnungen der spektakulären Sat.1-Neuverpflichtungen aus der Vergangenheit auch gewesen sein mögen: Im Programm war davon oft schon nach wenigen Monaten nicht mehr viel zu sehen. Die Misserfolge mögen an der allgemein desolaten Verfassung des Senders gelegen haben; und so manche Künstlerin bzw. mancher Künstler wird auch nicht ganz frei von Schuld gewesen sein. Das Scheitern alleine Sat.1 in die Schuhe zu schieben, wäre in jedem Fall unfair – schließlich sind deutsche Stars auf ihrer Suche nach einer neuen TV-Heimat auch schon anderswo gegen Beton gelaufen.

Wechselt das Publikum auf der Fernbedienung mit?

Dass das große Promi-Sendertauschen, aus dem Hugo Egon Balder bislang enttäuschenderweise noch keine Freitagabendspielshow zusammengeleimt hat, trotzdem niemals ein Ende findet, hat mehrere Gründe.

Der erste ist mit Sicherheit: die Kohle. Wer mit dem dicksten Geldbündel wedelt, kann damit auch über schwierigste Programmumfelder hinwegtäuschen, in die Neuverpflichtete anschließend hinein senden müssen. Genauso oft dürfte es allerdings eine Mischung aus fehlender Wertschätzung, fehlenden Sendeplätzen und fehlender Entwicklungsmöglichkeit sein, die eine Künstlerin oder einen Künstler zum Abschied vom bisherigen Stammsender treibt – vor allem, wenn ein neuer mit vollmundigen Versprechungen als Alternative in Erscheinung tritt. Wobei in der Regel das Risiko unterschätzt wird, dass das Publikum den Wechsel auf der Fernbedienung verweigern könnte.

Als Steffen Henssler 2017 bei Pro Sieben in die Fußstapfen von Stefan Raab trat, um sich mit "Schlag den Henssler" ein Stück weit von seinem Image als Fernsehkoch zu emanzipieren, stellte sich schnell heraus, dass seine neue Rolle als Vollzeit-Entertainer weder Henssler noch dem Publikum sonderlich gut schmeckte. 2019 ging er zurück zu Vox.

Und als Christian Rach nicht mehr länger RTL-Restauranttester sein wollte, ließ er sich vom ZDF verpflichten, um dort mit "Rach tischt auf" eine Art Edutainment-Show rund um Ernährungsfragen zu präsentieren: "Da möchte ich gerne aufklären, in einem ganz klassischen Sinne." Die Zuschauerinnen und Zuschauer (und DWDL-Kollege Alexander Krei) mochten's nicht. Und der Chef fand nach dem öden Klon "Rach und die Restaurantgründer" zurück zu seiner alten Programmfamilie nach Köln.

Ein Format wie ein Schneckenhaus

Dem Veränderungswillen prominenter Neuverpflichtungen und den bisherigen Gewohnheiten der Zuschauerinnen und Zuschauer gleichzeitig gerecht zu werden, scheint eine ganz besonders kniffelige Herausforderung zu sein. Sogar dann, wenn man eine Promitrophäe dasselbe Genre durchmoderieren lässt, das sie schon bisher bespielt hat. (Oder erinnern Sie sich noch, daran, dass Jörg Pilawa von 2012 bis 2014 mal ZDF-Moderator war?)

Sicher ist bloß: Der Transfer eines bekannten Gesichts von einem Sender zum nächsten garantiert, wenn man nicht gerade Kai Pflaume ist, noch lange keinen Quotenerfolg – wie Jan Hofer, Pinar Atalay und Linda Zervakis, die von den öffentlich-rechtlichen Sendern zu den Privaten geholt wurden, um dort Neues in der Information auszuprobieren, gerade erfahren.

Pinar Atalay bei RTL Direkt © Screenshot RTL Pinar Atalay bei "RTL Direkt".

Gleichzeitig gibt es aber auch Gegenbeispiele: Der Wechsel von Joko und Klaas von ZDFneo zu ProSieben war ein vorhersehbares Perfect Match. Jenke von Wilmsdorff kann mit seinen TV-Experimenten bei ProSieben vielleicht nicht mehr an vorherige Marktanteile bei RTL anknüpfen, dafür aber auch mit neuen Formaten wie "Jenke. Crime" erfolgreich sein. Und "Die Reimanns" haben den Vorteil, dass sie quasi mit dem eigenen Format verschmolzen sind und das wie ein Schneckenhaus überall mit hinnehmen können, notfalls halt auch zu Kabel eins.

Stolperfalle bleibt Stolperfalle

Eine Stolperfalle bleiben Senderwechsel allemal, zumal es ab einem gewissen Promistatus nicht mehr all zu viele Möglichkeiten gibt, weil niemand von der ersten in die zweite Reihe rücken wollen wird – Selbstverwirklichung hin oder her.

Trotzdem ändert sich diese ungeschriebene Regel der TV-Branche gerade ein Stück weit. Denn die Sender räumen ihren Stars zunehmend mehr Freiheiten ein, sich anderswo mit Experimenten auszuprobieren, ohne dafür Sicherheit bisheriger Erfolge aufzugeben. Steffen Henssler wird sich für sein Nachmittagsformat im Auftrag des Ersten kaum erneut von Vox trennen wollen; Barbara Schöneberger wäre schön blöd, wenn sie für ihren "Verstehen Sie Spaß?"-Vertrag mit dem SWR eine Konkurrenz-Ausschlussklausel unterschriebe; und Florian Silbereisen pendelt bald regelmäßig zwischen seinen "Festen" für ARD und MDR und "Deutschland sucht den Superstar" bei RTL.

"Es gehört zur Wahrheit, dass die Köpfe, die in der Unterhaltung erfolgreich sind, bei vielen Sendern gefragt sind. Deshalb wird man damit leben müssen, dass Stars auf mehreren Kanälen auftreten können", hat ARD-Unterhaltungskoordinator Frank Beckmann gerade im DWDL.de-Interview gesagt – und damit auch Exklusivverträge, wie sie in der Vergangenheit üblich waren, ein Stück weit für überholt erklärt.

Frei vom Exklusivitätszwang

Davon können theoretisch alle Seiten profitieren: Künstlerinnen und Künstler, indem sie anderswo Neues wagen, ohne sich im Falle eines Flops völlig neu sortieren zu müssen; Sender, indem Talente ohne teure Exklusivverträge verpflichtet werden können; und das Publikum, das nicht auf lieb gewonnene TV-Traditionen zu verzichten braucht.

Es muss ja nicht gleich so ein Durcheinander werden wie bei Thomas Gottschalk, der sich mit 71 Jahren inzwischen vollständig von jeglichem Exklusivitätszwang freigestrampelt zu haben scheint und gerade immer da auftaucht, wo nach seiner Nase verlangt wird: im SWR, bei ProSieben, RTL und im ZDF. Aber das ist jetzt natürlich eine etwas späte Erkenntnis für Ralf Schmitz und Sat.1, die sich dazu entschieden haben, einander gegenseitig im Alleingang zu retten – oder wie der Flummi in seiner "Halbpension" improvisiert, wenn sich jemand bei ihm für eine freundliche Geste bedankt: "Gerneschön."

Und damit: zurück nach Köln.

Sat.1 zeigt "Halbpension mit Schmitz" freitags nach 23 Uhr; bisherige Episoden sind auf Joyn abrufbar.